Der Tote im Bunker : Bericht über meinen Vater

Pollack, Martin, 2004
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Medienart Buch
ISBN 978-3-552-05318-2
Verfasser Pollack, Martin Wikipedia
Systematik DR - Romane, Erzählungen und Novellen
Verlag Zsolnay
Ort Wien
Jahr 2004
Umfang 254 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Martin Pollack
Annotation Anklage Vatermord? Der Fall Martin Pollack Die neuen Bücher von Marlene Streeruwitz, Barbara Honigmann und Martin Pollak zeigen: Familiengeschichten, Spurensuchen gar nicht mehr junger Ich-Erzähler und -Erzählerinnen, haben zur Zeit Konjunktur. Wo die Vergangenheit des Vaters oder der Mutter detektivisch erforscht und sachlich dargestellt wird, ergibt sich einmal mehr die Frage, ob das nun ein Sachbuch sei oder Literatur. Martin Pollacks neues Buch gelangte auf den ersten Platz der ORF-Bestenliste, die per definitionem für Literatur reserviert ist. Zugleich fand es sich aber auf diversen Bestseller-Listen in der Rubrik "Sachbuch". Dort war auch schon Pollacks Kriminalbericht "Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann" aufgeschienen, dem man als einer spannenden historischen Reportage durchaus literarische Qualitäten zubilligen hätte können. In seinem "Bericht über meinen Vater" behandelt der Autor aber nicht bloß seinen leiblichen Vater, einen SS-Offizier und leitenden Gestapobeamten, er stellt nicht nur das Milieu der Grenzlanddeutschen, das NS-Polizeiwesen und die Verbrechen der SS-Sondereinheiten im besetzten Osten dar - er erzählt von sich. "Der Tote im Bunker" ist nicht allein Biographie, sondern Autobiographie und gehört damit zu einem Genre der Literatur. Daß daran überhaupt Zweifel aufkommen konnten, liegt wohl an Pollacks Zurückhaltung in stilistischer Hinsicht. Der Charakter der Reportage bleibt fast durchgehend gewahrt, der sachliche Ton scheint das Geschehen immer wieder vom Ich-Erzähler fortzurücken. Der beginnt seinen Bericht mit einem Lokalaugenschein am Fundort der Leiche seines Vaters, in einem Bunker nahe dem Brenner. Vor 56 Jahren, im April 1947, hat man den Toten entdeckt und bei ihm einen Ausweis für Volksdeutsche, lautend auf Franz Geyer, Arbeiter. Die Schmisse im Gesicht des offenkundig Ermordeten passen aber nicht zu dieser Identität. Es stellt sich heraus, daß es sich um einen Österreicher handelt, "Dr. Gerhard Bast, SS-Sturmbannführer, geboren am 12. Jänner 1911 in Gottschee, Jugoslawien, zuständig nach Amstetten in Niederösterreich", gesucht als Kriegsverbrecher. Das mit Jugoslawien ist hier nicht ganz korrekt, denn bis 1918 gehörte die Gottschee zum habsburgischen Kronland Krain. Karl-Markus Gauß hat die noch heute in Resten existierende deutsche Sprachinsel, von der aus Hausierer - die "Gottscheberer" - in der ganzen Monarchie unterwegs waren, in seinem Buch "Die sterbenden Europäer" porträtiert. Die Familie Bast stammte aber nicht von dort, sondern aus der im Nationalitätenstreit um einiges stärker aufgeheizten Untersteiermark, aus Tüffer (Lasko) in der Nähe von Cilli. Pollacks Großvater, der in der Bezirksstadt Gottschee einige Jahre als Konzipient bei einem Anwalt arbeitete, kam aus einem Haus, in dem man sich nicht als österreichisch, sondern als strammdeutsch verstand. Wie bei allen Deutschnationalen wachte dort nicht Franz Joseph über die gute Stube, sondern Bismarck. Im Namen der "Los von Rom"-Bewegung wandte man sich vom katholischen Bekenntnis ab, das man mit den slowenischen Landsleuten teilte, und trat zum evangelischen Glauben über. Pollack stellt das Milieu der Wirtshausraufereien und Sängertreffen anschaulich dar, er zeigt, wie selbstverständlich Streit und Haß zwischen den Nationalitäten waren. So war ja der "Deutsche Schulverein Südmark" keine Erfindung der Nationalen, sondern eine des Sozialdemokraten Engelbert Pernerstorfer, einer der heftigsten Schulvereinspropagandisten war der Katholik Peter Rosegger. Pollack beleuchtet die Absurditäten des Kampfes, die Kluft zwischen denen, die sich "Drolz", und denen, die sich "Drolc" schrieben, die geschäftlichen Kontakte zwischen den Volksgruppen, die guten Beziehungen der Bastischen zu ihren slowenischen Verwandten, später die Saufkumpanei zwischen dem SS-Führer und seinem Cousin, einem Halbjuden. Noch vor dem Krieg übersiedeln die Großeltern nach Amstetten, wo der Großvater eine Kanzlei eröffnet - ihre Gesinnung nehmen sie mit. Später wird ihr Ältester Gerhard in Graz Jus studieren, sich der schlagenden Verbindung "Germania" anschließen, wie sein Vater und sein Onkel und dann sein Bruder. Graz ist bald eine Hochburg der Nationalsozialisten, gerade auf akademischem Boden. 1931 treten Vater und Sohn der NSDAP bei, Gerhard auch der SS. Beide werden als Illegale von den österreichischen Behörden verfolgt. Führende Nazis, etwa der unglückliche Putschist Walter Pfrimer, sind "Sprachgrenzdeutsche" wie sie. Nach dem Anschluß macht der Sohn eine Traumkarriere, er geht zunächst zur Gestapo Graz, mit dreißig wird er kommissarischer Leiter der Gestapo Linz, mit zweiundreißig, mittlerweile zum SS-Sturmbannführer (dem Majorsrang entsprechend) befördert, zu deren Leiter: ein Prestigeposten, ist Linz, wo Hitler die Schule besuchte, doch die "Patenstadt des Führers". Dort lernt Dr. Bast auch die Mutter des Autors kennen, die mit dem Maler Hans Pollack verheiratet ist, ein Schulkollege Hitlers und ebenfalls begeisterter Nazi, Leiter der Reichskammer der bildenden Künste in Oberdonau. Bast wird, zunächst nur für zwei Monate, als Leiter eines SS-Sonderkommandos in den Kaukasus beordert - hier findet Martin Pollack nichts Konkretes in den Akten, aber er weiß, daß den Sondereinheiten die "völkische Flurbereinigung" der eroberten Gebiete oblag. Der zweite Einsatz seines Vaters in Polen und der Slowakei vom Sommer 1944 bis zum Kriegsende ist mit etlichen Erschießungen von Geiseln und Juden besser dokumentiert. Dazwischen liegt ein Vorfall, bei dem Bast die Verantwortung für einen Toten persönlich zu übernehmen hat: Bei einer Jagd trifft ein Schuß aus seinem Gewehr versehentlich einen zwölfjährigen Treiber. Ein Paradox: gerade der, den er nicht vorsätzlich getötet hat, bekommt einen Namen, ein Gesicht, schadet seiner Karriere. Für fahrlässige Tötung wurde man als Staatsdiener auch im Dritten Reich verurteilt - die Demütigung, seine Strafe abzusitzen, blieb dem Gestapo-Chef freilich erspart, statt dessen schickte man ihn wieder in den Osten. "Wir kämpfen für Rapp'sche Ehren", sangen die Männer eines seiner Vorgänger beim Sonderkommando 7a. "Die Ehre des Deutschen, ein ehrenfester Mann, wie oft habe ich das gehört, ehrenhaftes Verhalten, dein Vater hat sich immer ehrenhaft verhalten, schärfte mir meine Großmutter ein. Wenn dich jemand fragt, was er gemacht hat, sag, er war Regierungsrat." Wie es war, unter lauter überaus liebevollen Hardcore-Nazis aufzuwachsen, das kommt in diesem Buch zur Sprache. Hie und da zeigt Pollack sich fassungslos: Der, gegen den er da nach allen Regeln der Kunst ermittelt, sein Vater, unternahm anscheinend unbeschwerte Skitouren, während von ihm zusammengestellte Judentransporte abgingen. Wetter, Schnee und Felsbeschaffenheit sind in seinem Tourenbuch dokumentiert, über Jahre die genauesten Informationen, die Gerhard Bast seinem Sohn hinterlassen hat. Anders als frühere Abrechnungen mit Nazi-Vätern ist diese nicht von Haß diktiert. Das mag daran liegen, daß der Autor keine Erinnerung an seinen Vater hat und daß die Jahre linker Radikalität schon lange hinter ihm liegen: Damals, als junger Trotzkist, brach er mit der Großmutter, obwohl er noch gar nicht wußte, wie weit die Verstrickung des fremden Vaters gereicht hatte. Heute bereut er seine Unversöhnlichkeit. Für die Großmutter waren die Tschechen "Schweine", die "unsere arme SS" in Prag an den Füßen aufgehängt hatten. Der Enkel ging, zunächst mehr unbewußt als bewußt, in die Gegenrichtung, studierte just Slawistik, Polonistik, heiratete eine Frau mit slowenischen Wurzeln (der Tüffer von Kind an vertraut ist), wurd ca8 e Übersetzer. Es scheint, als habe Pollack sich mit dem letzten Buch "Anklage Vatermord" über den antisemitisch grundierten Skandalprozeß der Ersten Republik an seinen eigenen Vater-Bericht herangeschrieben. Literarischen Vatermord hat er nun nicht begangen. Sein Entsetzen, seine Bedrückung sind dort, wo er die Rechercheresultate mit eigenen Erinnerungen und Fragen verschränkt, dennoch spürbar. Warum hat sich der Vater ausgerechnet für die Gestapo entschieden? Was hat die Mutter für ihn eingenommen, was hat sie von ihm gewußt? Wie konnten die guten Großeltern die Verbrechen ihrer Gesinnungsgenossen, ihres Sohnes gutheißen, bis zu ihrem Tod? Der Fall Gerhard Bast steht für andere: Irgendwo müssen die wirklichen Nazis in diesem Land gewesen sein, irgendwo die Angehörigen, die ihnen den Rücken stärkten. Es gibt in diesem Buch wenige Ungereimtheiten (Tüffer ist einmal 15, dann sechs Kilometer von Cilli entfernt, Graz heißt einmal "Stadt der Volksbewegung" statt "Volkserhebung") und wenige stilistische Ausrutscher: dort, wo Pollack den Pfad journalistischer Tugend verläßt und poetisch wird ("breitete sich ein Lächeln über ihr hageres Gesicht"). Über weite Strecken handhabt er seine Mittel souverän. Man kann "Der Tote im Bunker" mit Barbara Honigmanns "Ein Kapitel aus meinem Leben" vergleichen, obwohl beide Geschichten auf den ersten Blick unvergleichlich sind: Honigmanns Mutter war auf der "richtigen" Seite, auf der der Verfolgten. Aber die Tochter weiß von ihr, der Sowjet-Spionin, die ihr Gastland verriet, sehr wenig und begreift manches nicht. Und verzichtet doch auf eine regelrechte Recherche. Martin Pollack recherchiert akribisch - und macht sich keine Illusionen darüber, wieviel dennoch Rätsel bleibt. *LuK* Daniela Strigl

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